Als Männer vom Gartenamt im Park auf den Wiesen das Herbstlaub mit ihren Maschinen aufnahmen und in riesigen Haufen auftürmten, musste ich an meine Kindheit denken. Bei herbstlichen Sonnenstrahlen war es das höchste Vergnügen, sich mit Anlauf in solche Laubhaufen hineinzuwerfen - vorausgesetzt er war hoch und damit weich genug. Später lernte ich , dass man das Laub lieber in den Beeten und rund um die Wurzelballen belassen sollte, um die Pflanzen vor Frost zu schütbstlaub ist Symbol für unsere Veränderungs- und Lebensprozesse. Wie die Jahreszeiten ein Ganzes bilden und immer wieder durchlaufen werden, genau so durchlaufen wir auch im Leben vergleichbare Prozesse. Das in den achtziger Jahren in den USA von Steven Fosster und Meredith Little forrmulierte psychologische Modell der "Vier Schilde" geht davon aus, dass sich der äußere zyklische Ablauf der Jahreszeiten in unseren inneren Prozessen spiegelt. Überraschende Parallelen lassen sich auch zum Ablauf von Veränderungsprozessen im beruflichen Kontext feststellen.
1) Sommer: Erkunden, Entdecken, forschen
Im Sommer scheint die Energie unendlich; alles wächst und gedeiht. Emotionen werden direkt und ungefiltert erlebt wie in der Kindheit. Die Kräfte fließen frei. Nur ab und zu unterbricht ein heftiges Gewitter den Lauf der Dinge.
Im beruflichen Kontext ist dies die Anfangsphase auf einer neuen Stelle. Alles ist spannend und interessant; das meiste wird positiv konnotiert: Die Aufgaben, der Chef oder die Chefin, das Team, das Unternehmen. Im persönlichen Umfeld ergeht es uns nach einem Umzug oder einer anderen Umstellung ähnlich. In Beziehungen ist es die Verliebtheitsphase.
Das Genießen und "Auskosten" dieser Zeit ist die Ressource dieser Zeit. Es ist richtig, sich das zu gönnen und dem "inneren Kritiker", der solche Zeiten nicht gönnen mag, für eine Zeitlang Einhalt zu gebieten.
Das Risiko dieser Phase liegt im "Ausbrennen". Wie die Natur ohne Regen austrocknet, ist das auch im Inneren. Der "Nährboden" unserer Energie braucht Pflege, damit die vielen Eindrücke und Erfahrungen integriert werden können.
DARUM: Genießen Sie solche Zeiten beruflich und privat; achten Sie zugleich auf regelmäßiges Innehalten.
2) Herbst: Ernte einfahren, wirksam sein
Dem heißen Sommer folgt die Erntezeit des Herbst. Im Beruf weiß man, "wie der Laden läuft". Das Ungestüme wird geerdet. Es kommen die inneren Urkräfte und unsere Autonomie hinzu. Nach zwei bis drei Jahren im Unternehmen etabliert, lassen sich aus Routine und Erfahrung heraus Projekte umsetzen oder sogar die Position verbessern. Schwierige Kollegen oder Chefs "weiß man zu nehmen". Auch Freundschaften oder Beziehungen wandeln sich; Rituale und ein inneres Gespür für die eigenen Stärken und Schwächen und die des Anderen ist gewachsen. Jetzt können größere Vorhaben gewagt werden, eine Familie gegründet oder ein Haus gebaut werden oder ... oder .... oder
Die Ressource dieser Zeit sind Wirksamkeit und Selbst-Wirksamkeit. Wir spüren die innere Kraft; wir gestalten unseren Beitrag für das Unternehmen, für uns privat und für diese Welt.
Das Risiko in dieser Phase sind Melancholie und Rebellion. Beide speisen sich aus der Trauer um den Verlust kindlicher Naivität und Begeisterung. Fast in jedem Unternehmen gibt es jemanden, die wie Rumpelstilzchen ständig gegen Chef oder Kolleg*innen opponieren muss; viel weniger fallen die auf, die sich im "Cocon" ihres Arbeitsplatzes einspinnen und so ihre Autonomie bewahren.
DARUM: Gehen Sie bewusst in die Erfahrung von Wirksamkeit und Selbstwirksamkeit hinein; genießen Sie es, auch "dicke Bretter" bohren zu können, ohne sich "festfressen" zu müssen.
3) Winter: Stillhalten, von den Vorräten zehren
Dem Winter wohnt etwas Retardierendes inne. Das Wachstum stagniert; es geht nicht mehr weiter. Die Widrigkeiten des Wetters und die Kälte machen es notwendig, Vorräte anzulegen und weit voraus zu schauen. Die Tageszeit wird kürzer; Nacht, Finsternis und Zweifel greifen Raum.
Auch im Beruf lässt sich ein solches "Erlahmen" - oft nach fünf bis sieben Jahren - beobachten. Die "Mauern" einer starren Hierarchie oder der Graben zwischen Unternehmenswerten und eigenen Grundwerten - all das lässt sich nicht verändern. Man kann dagegen ankämpfen, mit immer mehr Energie und Engagement; der Ausbruch eines Burnout ist dann nicht mehr weit. Oder man vollzieht die innere Kündigung ("Dienst nach Vorschrift"). Auch privat können Freundschaften und Beziehungen in die Krise geraten. Aus kraftvoller Routine wird lähmende Langeweile; aus Wirksamkeit wird Erfolglosigkeit, Wozu das alles eigentlich? Auch hier "verlocken" die manische und die depressive Antwort als scheinbarer Ausweg. Entweder wir flüchten in Aktivismus, suchen - notfalls wo anders - Begeisterung und Wirksamkeit; oder wir lassen uns in den Abgrund von Traurigkeit, ja Gefühllosigkeit und winterlicher Erstarrung fallen.
Die Ressource des Winters aber sind Weitsicht und Verantwortung. Es gilt, die Erträge des Herbst zu bewahren. Wir "zehren" von dem, was wir geschaffen haben, ohne gerade Neues zu schaffen. Selbst was scheinbar zu nichts mehr nütze ist wie das Laub des Spätherbstes, schützt vor Kälte und Erstarrung der Seele.
Das Risiko in dieser Phase ist das Vergessen von Sommer und Herbst. Denn im Winter wird zum ersten Mal erfahrbar, dass die unterschiedlichen Zeiten zusammen gehören.
DARUM: Erschrecken Sie nicht vor Kälte und scheinbarer Wirkungslosigkeit. Vertrauen Sie auf alles, was Sie geschaffen haben und was bisher wachsen durfte. Erinnern Sie sich bewusst all dessen, was an Früchten entstanden ist.
4) Frühling: Unerwartete Neuanfänge
Das Frühjahr ist die Zeit des Neuanfangs und des - unerwarteten - Aufbruchs. In der stillen Zeit des Winters sind neue Knospen entstanden, die nun durchbrechen und ans Licht wollen. Das Laub ist zu Humus geworden, aus dem Pflanzen Kraft schöpfen für neues Grün, für neue Blätter und neue Blüten.
Im beruflichen Kontext wird dieser Neuanfang oft durch den Moment gekennzeichnet, an dem ganz plötzlich klar ist, wo es hingehen soll. Eine Kündigung oder ein Wechsel mag noch in der Ferne liegen; aber WOHIN es gehen soll - DAS ist "sonnenklar". Das Alte mag noch sichtbar sein wie der späte Schnee im Frühjahr; aber das Neue durchbricht schon die Krume. Auch im privaten Bereich entsteht Neues oft an unerwarteten Orten. Auch hier gibt es diese "Umschalt-Momente", die wir nicht in der Hand haben und die in großer Klarheit einen Weg eröffnen. Immer wieder höre ich in der Beratung von solchen Erfahrungen: "Ich kann gar nicht sagen warum - aber von diesem Moment an war es klar!" Es ist sowohl beruflich wie privat möglich, dass das "Neue" von außen betrachtet das "Alte" ist: der gleiche Job, die gleiche Freundschaft oder Beziehung. Und doch ist es dann "nicht mehr das selbe", sondern eher so etwas wie eine "Neuschöpfung"
Die Ressource des Frühlings ist das Staunen und Glücklichsein über das Neue. Es schöpft aus der Erfahrung, dass die wirklich wichtigen Dinge im Leben unerwartet und wie von außen zu uns kommen.
Das Risiko dieser Phase ist die Ungeduld. Wie kleine Kinder manches Mal versucht sind, an den kleinen Keimblättern zu ziehen , so können auch Erwachsene manchmal kaum erwarten, dass etwas endlich wächst und gedeiht.
DARUM: Genießen Sie in aller Gelassenheit das Wachsen; und lassen Sie sich beschenken.
Miteinander und Ineinander
Die Phasen von Entwicklung und Veränderung verlaufen in unserem Inneren bei Weitem nicht so regelmäßig und so geordnet hintereinander ab. Während ich hier im Job gerade mitten im "Winter" stecke, ist dort in meinem Freundeskreis derweil schönster Sommer. Das Bewusstsein dafür, dass Veränderungen und Krisen in Phasen verlaufen, kann helfen, nicht in einem Bewusstseinszustand "hängen" zu bleiben. Stattdessen kann ich in jedem Stadium sowohl die Ressourcen nutzen als auch die Risiken beachten. Letztendlich ist jede "Jahreszeit" für das Gelingen gesunde Veränderungsprozesse wichtig.
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Inzwischen ist das Herbstlaub im Park durch den ersten Schnee bedeckt. Der Winter hat sich angekündigt. Doch auch der Schnee ist wichtig; unterstützt er doch den Umwandlungsprozess des Laubs und gibt dem Boden nicht nur Schutz vor der Kälte, sondern auch die nötige Feuchtigkeit, damit die Pflanzen in der Froststarre nicht austrocknen und absterben.
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